Brainfood statt Junkfood: Dreimal täglich weniger Wut

 

 

 

“Ein Liebhaber guten Essens investiert nicht in Qualität, sondern in sich.”  Passt irgendwie zum Start in ein neues Jahrzehnt, dieser Satz. Man könnte auch sagen: Weniger Wut, bitte. Denn Forscher in aller Welt zeigen gerade, dass Lebenszufriedenheit direkt verknüpft ist mit gesunder Ernährung.

 

“Willst Du erkennen, lerne zu handeln”, lautet ein Bonmot des Physikers Heinz von Foerster. Es lässt sich spontan ergänzen: … und gesund zu essen. Denn viele Forschungsarbeiten bestätigen derzeit, dass die Ernährung direkt die Leistungsfähigkeit des Gehirns, unsere seelische Verfassung und mentale Gesundheit beeinflusst.

Das Gehirn isst mit, immer. Es verbraucht mehr als 20 Prozent des täglichen Energiebedarfs. Wird es gleichmäßig gut gefüttert, kann es tagsüber auf vollen Touren laufen und nachts regenerieren. Erkenntnisse dazu liefert neuerdings eine junge Wissenschaft, die über die gesamte Lebensspanne für die Gehirngesundheit untersucht, was wir so zu uns nehmen. 

Der Name: Nutritional Cognitive Neuroscience. Das Lieblingsthema: Neuro Nutrion oder Brainfood – jene ballaststoff-, obst- und gemüsereiche Ernährung, die unerlässlich ist fürs optimale Funktionieren der grauen Zellen. Also für spürbar bessere Hirnleistung und Laune, Konzentration und Kreativität, geringeres Stresserleben und tieferen Schlaf. Ja, und offenbar auch für mehr Zufriedenheit mit sich und dem Leben.

Rund 50 Nährstoffe brauchen Kopf und Körper dafür – und ganz allgemein zum Gesundbleiben, Lieben und Lernen, Arbeiten und Mitarbeiter führen. Was, wenn das System Mensch die dauerhaft nicht bekommt? Wird es krank – umso mehr bei einem Lebensstil mit wenig tiefenentspannenden Ruhephasen und noch weniger Bewegung. 

Könnte die regelmäßige Portion Nüsse, Fisch, Beeren, Hafer, Kohl und Co. die Welt sogar zu einem friedlicheren Ort machen? Dr. Ap Zaalberg vom Forschungsinstitut des niederländischen Justizministeriums bemerkt jedenfalls in der TV-Dokumentation Unser Hirn ist, was es isst: “Mit industriell produzierten und stark verarbeiteten Sachen, die keinerlei Nährstoffe mehr haben, füttern wir das Monster in uns.”

In seinen Untersuchungen mit Gefängnisinsassen, aber auch in australischen Studien mit Kindern und Erwachsenen, wird immer offensichtlicher: Zu einseitig, zu viel, zu fett, zu salzig – und immer zu süß – kommt nicht länger nur einem Anschlag auf Leib und Leben gleich, sondern auch auf das Gehirn.

Junkfood gilt als einer der Schlüssel für emotionale Störungen: für Impulsivität, Aggression, Gewalttätigkeit. Andere Arbeiten finden ein Risiko für Depressionen und Ängstlichkeit. Vor allem ungünstige Fette und Zucker stehen im Verdacht, das Zusammenspiel der Nervenzellen und so die Aktivitäten verschiedener Hirnareale zu stören, die für das Lernen, die Erinnerung und räumliche Orientierung zuständig sind.

„Als fester Bestandteil des Alltags kann Essen viele verschiedene biochemische Vorgänge anstoßen und sogar unser Handeln und Denken beeinflussen”, sagt die Psychologin und Hirnforscherin Prof. Soyoung Q Park, die am Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE) und an der Charité die Abteilung Neurowissenschaft der Entscheidung leitet. 

Allein durch die Wahl eines Lebensmittels und den Verzehr zu einer bestimmten Zeit lässt sich einiges steuern. Zum Beispiel das morgendliche Müsli – selbstgemacht aus Getreideflocken, frischem Obst, Nüssen, Biomilch oder -joghurt: Eine bessere Basis gibt´s wohl kaum, um jeden Tag aufs Neue den lauernden Säbelzahntiger zu besiegen. Es füllt leere Energiespeicher viele Stunden, sättigt lange, schützt vor Heißhungerattacken.

Und unterstützt nicht zuletzt die Darmgesundheit. Denn an allem ist der Darm beteiligt, das VIP-Organ der Jetztzeit. Die Bakterien der Darmflora vermitteln zwischen Nahrung und Neuronen; sie kommunizieren mit ihnen über wichtige Teile des Nervensystems und steuern, wie wir uns fühlen: fröhlich oder jämmerlich, optimistisch oder verzagt. Oder eben auf Krawall gebürstet.

Wie genau sie das tun, ist noch Hypothese. Doch klar scheint inzwischen zu sein, dass die Meldung “Zu viel schlechtes Fett und Zucker unterwegs!” früher oder später über das Immunsystem im ganzen Körper Entzündungen auslöst, auch im Gehirn. Die eigentlich undurchlässige Blut-Hirn-Schranke wird überwunden. Am National Cancer Institut in Bethesda/Maryland geht man davon aus, dass mindestens jede fünfte Krebsdiagnose durch schwelende Entzündungen angeschubst wird.

Wer kann das ernsthaft wollen? Eben. Deshalb setzt sich eine Idee immer mehr durch: Mit Pflanzenstoffen, “guten” Fetten und all den anderen Schätzen aus hochwertigem Essen die Hirnchemie steuern, um positiv auf Befinden und Verhalten zu wirken.

Wie die Zusammenhänge sind und wie die richtigen Lebensmittel nicht nur präventiv funktionieren, sondern Licht in den Tunnel auch bei Dauerstress bringen: Forscher folgen allen Fährten, vor allem denen der mediterranen Küche. Selbst wenn die in traditioneller Form kaum noch anzutreffen ist, da die Qualität sich verändert hat und auch im Süden Europas längst Fastfood konsumiert wird, so bleibt sie ein Synonym für die Bandbreite an frischer, pflanzlicher, gering verarbeiteter Nahrung.

Alle Studien zeigen: Die Kombination von Gemüse, Fisch, Geflügel, Getreide, Nüssen, Käse, Früchten und Olivenöl – bei uns ist auch Rapsöl angesagt – führt zu einer bunten Vielfalt an Darmbakterien und soll die kleinen grauen Zellen richtig fit machen. Der Zeitgeist nennt das Plant Based Food. Und meint damit eine meist vegetarische Kost, bei der man sich gelegentlich biologisch produziertes Fleisch auf den Teller legt.

Unser Überblick über die wichtigsten Elemente eines idealen Hirnfutters entspricht letztlich einem idealen Healthfood, klar. Dafür ist nicht nur der private Lebensraum das perfekte Setting. Längst sind auch Schulen, Unternehmen, Tagungshotels im Fokus. Dort lassen sich die Bildungshungrigen, etwa die Hälfte der deutschen Bevölkerung und schließlich Manager erreichen: alle, die sich sowieso schon für Brainfood interessieren und jene, die wenig drüber nachdenken. 

Omega-3-Fettsäuren

Bekannt sind sie für ihren Einfluss auf Herz und Gefäße. Noch nicht wirklich herumgesprochen hat sich, dass sie auch für die Entwicklung, Struktur und Funktion des Gehirns (und der Augen) und für die Intelligenz fundamental sind. Niedrige Werte finden sich u. a. bei Depression und AD(H)S. Da der Körper O3FS nicht selbst herstellen kann, unterstützen wir ihn am besten. Je mehr, je besser.

ToP 1o   Algen, Lein-, Chia-, Walnussöl, Leinsamen, Walnüsse, Fettfische wie Lachs, Makrele, Sardelle, Sardine. 

Komplexe Kohlenhydrate

Mit Kohlenhydraten wird in aller Regel Industriezucker und „leere Kalorien“ in Weißbrot oder Gebäck assoziiert. Doch es gibt noch die komplexen Kohlenhydrate, sie zählen zu den wichtigsten Energielieferanten des Gehirns. Davon hat es lange was, wir können zum Beispiel mehrere Stunden fokussiert an etwas arbeiten. In der deutschen Ernährungswissenschaft wurde die Mittelmeerkost auch deshalb um Vollwertigkeit erweitert. KK liefern gleichzeitig Mineral-, Ballaststoffe und Vitamine, die wiederum dafür sorgen, dass die Hirnzellen schnell und präzise Informationen austauschen.

ToP 1o  Vollkornbrot, Naturreis, Quinoa, Polenta, Bohnen, Haferflocken, Zuckerschoten, Kichererbsen, (Süß-)Kartoffeln, Bananen.

Proteine

Ohne Proteine, also Eiweiße, ist alles nichts. Deren Bausteine, die Aminosäuren, wirken im Gehirn als Vorläufer von Botenstoffen wie Dopamin oder Serotonin – bestens bekannt als Glückshormone. Als Botenstoffe selbst werden sie gebraucht für die Kommunikation zwischen den Hirnarealen. Etwa wenn es darum geht, Entscheidungen zu treffen, erholsam zu schlafen, zu fühlen, gegen Stress und Kälte anzukämpfen. Einige Aminosäuren müssen mit der Nahrung aufgenommen werden, sinnvoll ist ein Mix aus pflanzlichen und tierischen Quellen.

ToP 1o  Alle diese sogenannten essentiellen Aminosäuren sind im Hühnerei enthalten. Andere Eiweißquellen sind Vollmilch und Milchprodukte, Sojaprodukte, Kürbiskerne, Lupinen, Pasta, Linsen, mageres Fleisch und Süßwasserfische aus nachhaltiger Fischerei mit akzeptablen Tötungsmethoden.

Sekundäre Pflanzenstoffe

SPS kommen in allen Pflanzen in nur geringen Mengen, aber gigantischer Vielfalt vor.

Der Versuch, sie in einer Zahl zu erfassen, ist schwierig, man geht von mindestens 80.000 aus, die unter anderem für den Geschmack, den Duft und die Farbe von Obst und Gemüse verantwortlich sind. Mit der Produktion von SPS sichern Pflanzen ihr eigenes Überleben. Im übertragenen Sinne werden sie als unentbehrlich für den Menschen eingestuft. 

Viele SPS jagen freie Radikale und schützen so die DNA vor Erbgutschäden. Und tiefer liegende Gewebeschichten setzen sozusagen keinen Rost an. Dies heißt fürs Hirn: Besonders eine Gruppe, die Polyphenole, erhält die Lern- und Gedächtnisfähigkeit. Von Bedeutung sind diese vier: die Ferula-, Kaffee-, Ellagsäure und Resveratrol.

ToP 1o  Ferula- und Kaffeesäure stecken in Grün-, Weißkohl, Paprika; Ellagsäure in allen Beeren, Walnüssen, im Granatapfel; Resveratrol vor allem in roten Trauben, Himbeeren, Pflaumen, Erdnüssen.

Sauerstoff 

Ein fitter und schneller Geist, aufmerksam, wach und witzig: Das klappt mit Flüssigkeit. Viel trinken versorgt den Kopf mit Sauerstoff und durchblutet anständig. Nein, Alkohol ist nicht gemeint. Ansonsten sind die Empfehlungen naturgemäß immer die gleichen: Jeden Tag rund zwei Liter zuckerfrei und kalorienarm. Frisch gepresste Frucht- und Gemüsesäfte sowie Smoothies sind super Zwischenmahlzeiten.

ToP 5   Stilles Wasser, gegebenenfalls angereichert z. B. mit frischem Ingwer, selbst gemixte Saftschorlen im Verhältnis 1:3 Saft/Wasser, Tees in Bioqualität (Stichwort: Pestizide), fettarme Brühen. Beim Kaffee entsprechen zwei bis drei Tassen bis zu 300 mg Koffein, das regt die Nervenzellen ausreichend an.

Das gewisse Etwas 

Mediterran-vollwertig heißt nicht zuletzt: Wer sich angewöhnt, auf dem Wochenmarkt, im Hofladen und beim Bauern seines Vertrauens einzukaufen, kann die Nutri Scores dieser Welt komplett ignorieren. Denn charakteristisch für “echte“ Lebensmittel sind geringe Mengen an Zucker, Salz, versteckten (Palm-)Fetten. Und: keine meterlangen Listen an synthetischen Zusätzen, nirgends.

Kennen Sie die Faustregel “Finger weg von Zubereitungen mit mehr als fünf Zutaten”? Alles darüber soll dem Leben – dem guten zumal – nicht unbedingt zuträglich sein. Jedenfalls nicht im Sinne eines anderen Gedankens, dem des Journalisten und Autors Gero von Randow: “Ein Liebhaber guten Essens investiert nicht in Qualität, sondern in sich.” Passt irgendwie zum Start in ein neues Jahrzehnt.

 

 

 

Gesund führen also

 

 

 

 

Gesund führen – was ist das:
Megatrend, Gegenbewegung, Glücksversprechen,
Anachronismus in einer Arbeitswelt, die sich tiefgreifend transformiert?

 

Der Geschäftsführer ist nicht zu erreichen. Für ein paar Tage lässt er sich auf den Rhythmus in einem Kloster ein, um in neue Balance zu kommen. Rückzug, Muße, Reflexion: “Herr Janssen lebt selbst, was er in seinem Unternehmen weitergibt”, sagt eine Mitarbeiterin am Telefon.

Herr Janssen, Vorname: Bodo, lebt eine Vision vom Kulturwandel in der Arbeitswelt und lässt diese seit einigen Jahren daran teilhaben, aktuell im Film zum Buch “Die stille Revolution”. Eine Frage lautet: “Wie würden wir arbeiten, wenn wir uns nochmal neu erfinden würden?”, eine andere: “Wofür hat es Sinn sich einzusetzen, als Mensch, nicht als Unternehmer?” Der Herr über zurzeit 82 Hotel- und Ferienwohnungsanlagen an der Ost- und Nordseeküste zeigt sich zutiefst überzeugt, dass das betriebswirtschaftliche Diktum der Wertschöpfung durch Ressourcenausbeutung gewandelt gehört in Wertschätzung durch Potentialentfaltung. Von der Quantität zur Qualität, und das in einer reifen Unternehmenskultur, in der man daran interessiert ist, dass alle MitarbeiterInnen sich wohl fühlen.

“Dieser Paradigmenwechsel wird ein Spektrum erschließen, das in seinen Dimensionen noch gar nicht absehbar ist,” sagt Janssen, der 44-jährige Betriebswirt und Sinologe aus Emden, im Film. Das Kernthema hierbei: Führung – Selbstführung und Mitarbeiterführung. In exakt der Reihenfolge, denn am Anfang stehe die Selbsterkenntnis und in der Folge der Mut, alte, verinnerlichte Denkmuster und Arbeitsmodelle in Frage zu stellen und einen gänzlich anderen Weg zu versuchen. Den geht Janssen konsequent seit 2010, nach verheerenden Ergebnissen einer Mitarbeiterumfrage. “In Schulnoten ausgedrückt, zwischen vier und fünf. Der Wunsch nach einem neuen Chef war ein Schlag ins Kontor.”

Heute gilt der Mann als eine Art Spiritus Rector in einem Topmanagement, in dem Vorgesetzte das Zeug zum Vorbild haben, weil sie starke Persönlichkeiten sind. Solche mit Erfahrung und einer Haltung; mit der nötigen Aufmerksamkeit für die eigene Gesundheit und die der Beschäftigten. Die Wertschätzung explizit vorleben. 

Schlechte Chefs kosten 1o3 Milliarden Euro

“Gesund führen” lautet das Stichwort. Was ist das? Megatrend, Gegenbewegung, Glücksversprechen, Anachronismus in einer Arbeitswelt, die sich tiefgreifend transformiert? Obwohl starre 9-to-5-Zeiten und steile Hierarchien in vielen Berufen von flexiblen Modellen und flachen Strukturen abgelöst werden: Digital, global, flexibel, mobil, vernetzt, selbstoptimiert bleiben Kampfbegriffe der kapitalistisch fixierten Industrie 4.0, die große Teile der Gesellschaft derart herausfordert, dass sie mit Krankheit reagieren, Tendenz steigend. 

Der jüngste DAK-Gesundheitsreport 2018 gewährt tiefe Einblicke in die Abgründe des deutschen Arbeitsalltags. Mit rund 110 Millionen Fehltagen im Jahr 2017 (2016: 107 Mio.) stehen bei 44 bzw. 43,5 Millionen Erwerbstätigen seelische Störungen auf Platz 2 der Krankschreibungen, nach Problemen mit dem Muskel-Skelettsystem, vor allem Rückenschmerzen. Zeitdruck und Leistungsverdichtung, unangemessene Bezahlung, Überforderung und Mobbing manövrieren Beschäftigte scheinbar unaufhaltsam in eine “ganzheitliche Erschöpfung”, die wiederum den Weg für Depressionen, Angst- oder Suchterkrankungen ebnen kann.

Zugleich bekommen auch Spitzenmanager den Stress der veränderten Arbeitswelten zu spüren; sie werden nicht mehr allein von Mitarbeitern und Investoren nach ökonomischen und moralischen Kriterien bewertet und gegebenenfalls sanktioniert, sondern auch von der Öffentlichkeit, sofern das Unternehmen relevant genug ist. Die Folgen wirken schlimmstenfalls auf die gesamte Organisation. 103 Milliarden Euro kosten schlechte Chefs laut aktuellem Gallup Engagement Index die deutsche Volkswirtschaft, auch, weil jeder siebte Mitarbeiter innerlich gekündigt hat.

Sehnsucht nach neuen Führungsstilen

Die gute Nachricht: Es wird viel experimentiert in Unternehmen. Überall gibt es den Wunsch und eine gewisse Sehnsucht nach neuen Führungsstilen und einem Personal mit umfangreichen Kompetenzen. Idealerweise und im Sinne von „Prävention 4.0“, einem Projekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, sind das Kommunikationsfähigkeit, emotionale Kompetenz, Beziehungskompetenz.

Gesund führen also. Was das bedeutet, hat 2016 die Universität Witten/Herdecke aus dem Status quo der Forschung in einer Studie zusammengefasst. Gesunde Führung, heißt es da, beginnt bei sich: “Wer sich nicht selbst zu führen versteht, kann auch andere nicht führen.” Selbstführung ist umschrieben mit Selbstfürsorge, Selbstmanagement, Selbstreflexion, Selbstverantwortung, und eng mit der Vorbildwirkung verbunden. So stärkt sie Wohlbefinden und Widerstandskraft und soll zugleich Hochleistungen ermöglichen, eigene und bei den Mitarbeitern.

Als wichtig für eine gesunde Selbstführung gilt die Erkenntnis, dass subjektiv empfundene Belastungen immer im eigenen Kopf entstehen. Entsprechend geht es neben dem klassischen Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz zunächst stets um die psychische und mentale Gesundheit – um Transparenz bei Belastungen, um offensiven Stressabbau und ja, um freundlichen Umgang. Körperliche Fitness wird vorausgesetzt.

Mit mitarbeiterorientierten Verhaltensweisen bringen 211 für die Studie befragte Führungskräfte (46 % Frauen, 54 % Männer, durchschnittliches Alter: 44 Jahre) Respekt, Anerkennen guter Arbeit und wiederum Kommunikation in Verbindung. Letztere spiegelt sich darin, regelmäßig Feedback zu geben und anzunehmen, eine offene Fehlerkultur zu haben, kooperativ mit Wissen und Ideen umzugehen und nicht zuletzt ein positives Grundrauschen herzustellen.

Der eigenen Macht einen Sinn geben

“Wo solche Konzepte gelebt werden können, richtet man sich an einem übergeordneten Zweck aus, der sich an etwas anderem misst als dem eigenen Vorteil”, sagt Prof. Dr. Timo Meynhardt vom Dr. Arend Oetker Lehrstuhl für Wirtschaftspsychologie und Führung an der HHL Leipzig Graduate School of Management.

Die private Universität hat 2015 in einer Untersuchung mit dem Titel “Healthy Leadership: Prevention, promotion, balance” herausgearbeitet, dass Firmen, die sich den Mitarbeitern ebenso verpflichtet fühlen wie den Zielen, ihre Leute nicht nur darin unterstützen, allen hinlänglich bekannten Diagnosen vorzubeugen. „Prävention darf sich nicht in betrieblich geförderten Fitnessprogrammen erschöpfen”, so der Tenor. “Wer Leistung fordert, muss heute etwas Besonderes bieten.” Die zentralen Erfolgsfaktoren für wirksame Strategien sind Organisation und gute Führung. Gut bedeutet, dass mit den Mitarbeitern regelmäßig Ziele vereinbart werden, die sie nicht nur intrinsisch motivieren, sondern zuweilen herausfordern, die persönliche Latte etwas höher zu legen. 

Fehlt noch das Wie. Gesund führen heißt für den Wirtschaftspsychologen Meynhardt, der eigenen Macht einen Sinn zu geben, indem man anderen einen Nutzen stiftet: Was hat die Gesellschaft davon, dass es das Unternehmen gibt? Was der Einzelne? Im sogenannten Leipziger Führungsmodell steht er für das Credo “Gemeinsam sinnvoll wachsen”, schließlich verbringe der Mensch 80 Prozent seiner wachen Zeit in der Arbeitswelt, diese sei ein Fundament seiner Erfahrungen. “Ein Unternehmen wächst – über sich hinaus, wenn es stimmige Angebote macht, die glaubhaft einen Gemeinwohlbeitrag leisten, der für den Einzelnen spürbar ist und das Bild vom guten Leben verbessert.”

Beispielsweise, wenn Schwächen von Personen und Prozessen erkannt, Verbesserungen entwickelt und gemeinsam daran gearbeitet werden kann, Probleme zu neutralisieren. Oder wenn es mehr Verständnis gibt für familiäre Situationen.

Die Sache mit der Selbstverantwortung

“Wer Gestaltungsspielräume hat und schafft, kann wachsen, fachlich und persönlich, und als Team die Zukunft des Unternehmens gestalten.” Für Meynhardt schließt sich damit der Kreis zur Gesundheit. Allerdings: In der Realität wird das höchstens in jedem zehnten Unternehmen gelebt. Selbstführung fällt schwerer als Mitarbeiterführung, nicht minder problematisch ist Eigenverantwortung bei den Mitarbeitern. Wirklich erfolgreich wird gesunde Führung indes erst, wenn Engagement von Unternehmerseite sich mit einer Haltung der Beschäftigten trifft, in ganzheitliche Gesundheit einsteigen zu wollen.

Daniela Gleue, zuständig für Kultur und Entwicklung in der Upstalsboom Hotelresidenz & SPA in Kühlungsborn, hat das getan. Heute bezeichnet sich die Psychologin und Sportwissenschaftlerin als die erste Herzlichkeitsbeauftragte im Unternehmen von Bodo Janssen, “weil es Rahmenbedingungen schafft, in denen Menschen ihr Potenzial entdecken und entfalten können. Es geht darum, Menschen in Gänze zu stärken.” Für sie bedeutet gesund führen, gelingende Beziehungen möglich zu machen. “Mich selbst gesund führen heißt, mich bewusst führen. Es bedeutet Bewusstsein schaffen für Körper, Geist und Sprache, für Sport, Ernährung, Entspannung, für ein achtsames Miteinander.”

Auch damit könnte die Feststellung des amerikanischen Ökonom und Nobelpreisträgers Edmund Phelps, dass 95 Prozent des persönlichen Glücks durch die Arbeitswelt bestimmt wird, einen neuen Sinn ergeben.

 

In geänderter Fassung erschienen bei Handelsblatt online, 7 SEP 2o18

 

ZUM THEMA


Badura/Ducki/Schröder/Klose/Meyer: Fehlzeiten-Report 2018. Schwerpunkt: Sinn erleben – Arbeit und Gesundheit.Berlin 2018. 608 S. 54,99 €

 

 

Ich gründe eine Müßiggæng

  
JA, ES KÖNNTE BALD SO WEIT KOMMEN, DASS MAN EINEM HANGE ZUR VITA CONTEMPLATIVA (DAS HEISST ZUM SPAZIERENGEHEN MIT GEDANKEN UND FREUNDEN) NICHT OHNE SELBSTVERACHTUNG UND SCHLECHTES GEWISSEN NACHGÄBE. F Nietzsche

 

Die Pferde hießen Achtsamkeit, Entschleunigung und Resilienz, sie sind tot. Zugrunde geritten vom Mainstream, von Lifestyle-Apologeten, Mindfulness-Ideologen und von Ex-Managern, die auf Berater, Trainer, (selbsternannten) Coach umgesattelt haben. Für ein paar Späte mag gelegentlich „eine Portion“ von diesem oder jenem ja funktionieren, der eine und andere Pionier und Dinosaurier hingegen reibt sich die Augen: Was hat Hype mit Haltung zu tun? Ich bin raus und gründe eine Müßiggæng. Warum? Darum: 

Die Zeiten sind obskur, wir wissen nicht, was morgen ist.

Lassen ist gesünder als klammern.

Stress ist längst kein Zeitgeist mehr, sondern die Unmöglichkeit eine gesunde Balance herzustellen.

Selbstoptimierer sehen nicht, dass sie sich maximal aufreiben (lassen) für die Ziele anderer. Spannend würde es freilich, wenn sie es nicht sehen wollen.

Atemlosigkeit ist der größte Feind der Hingabe.

Höchste Zeit für einen liebevollen Blick auf sich.

Es ist großartig, jenem Teil des Lebens bewusst Raum zu geben, der im Alltag fast immer zu kurz kommt: Innehalten, Abstand nehmen, gut zu sich (und anderen) sein.

Kleine Reisen an magische Orte erweitern den Blick nach innen und nach vorn.

Klarheit dient der Lebensqualität, der eigenen und der des (Arbeits)Umfelds.

Ruhe und Reflexion öffnen die Sinne, verleihen dem Geist Flügel, erzeugen mutige Gedanken. Eines wie das andere fühlt sich extrem gut an.

Das Gefühl von Selbstbestimmtheit und tiefer Freude ist ein wichtiger Maßstab dafür, wie das Leben aussehen soll.

 

Let´s start am Ruhepol: in aller Stille, in Bewegung, beim gemütlichen gemeinsamen Speisen in der guten Gesellschaft Gleichgesinnter, die wie Sie individuelle und weltanschaulich neutrale Wege suchen, um mit den Dingen des Lebens anders umzugehen – gelassener, zufriedenstellender, leichter … Freuen Sie sich auf ein „Abenteuer“ der anderen Art zu fast jeder Jahreszeit, wir freuen uns auf Sie.

Für Paare, kleine Gruppen und Unternehmen planen wir nach Ihren Wünschen.

 

FRÜHLING + HERBST
IM GUTSHAUS LUDORF AN DER MÜRITZ
 IM GUTSHAUS WESSELSTORF IM MECKLENBURGER PARKLAND 
DAS PROJEKT IST BEENDET

 

„Ethisches Denken also als Anleitung zu einem guten Leben“

 

 

Alles wird gesund. Alles ist machbar. Endlich Schluss mit diesem oder jenem. Wir leben – auch – in einem durch und durch oberflächlichen Zeitalter, das von Jugendlichkeit und Fitness geradezu besessen ist. Dafür ist kein Weg zu weit, kein Versprechen zu teuer.

Was ist das, Selbstoptimierung um jeden Preis? Prävention? Die Antworten werden naturgemäß unterschiedlich ausfallen, da jeder Einzelne etwas anderes unter den Begriffen versteht.

Mein Thema ist nun mal die Prävention, und hier gilt: Grundsätzlich ist alles Prävention, was Krankheit verhindert, verzögert oder weniger wahrscheinlich macht. Der Begriff selbst kommt vom lateinischen praevenire und bedeutet zuvorkommen. Prävention setzt zeitlich vor dem Eintritt eines Risikos an, Therapie danach.

Schon mit den klassischen Möglichkeiten der Prävention kann jeder den großen Volkskrankheiten aktiv entgegenwirken oder, bei bestehenden Störungen, Schlimmeres abwenden. Jede Krankheit, die nicht entsteht, ist die beste Entlastung für – ja, für wen eigentlich?

Eine Gesellschaft, zu deren Lebensprinzipien bisher nicht die Salutogenese – die Gesundheitsentstehung als Wert an sich – gehörte, sondern die Pathogenese mit einer auf Funktionalität, Planbarkeit, Kontrollierbarkeit, Effizienz und monetären Gewinn ausgerichteten Hochglanzmedizin, befindet sich in einem Teufelskreis: Der Einzelne wird zum Opfer seiner Ansprüche – oder die anderer – an Machbarkeit und übersieht, dass sein Glück darin liegt, wie er selbst der Welt begegnet.

SEIT DER ANTIKE DIENT ETHISCHES DENKEN
IN ERSTER LINIE DAZU, DEM MENSCHEN DABEI ZU HELFEN,
EIN ERFÜLLTES LEBEN ZU FÜHREN. ETHISCHES DENKEN ALSO
ALS ANLEITUNG ZU EINEM GUTEN LEBEN.
GIOVANNI MAIO

 

Deshalb ist jede Erkrankung, die nicht entsteht, die beste Entlastung für den präventologisch Handelnden und gleichsam ethisch Denkenden: „Seit der Antike dient ethisches Denken in erster Linie dazu, dem Menschen dabei zu helfen, ein erfülltes Leben zu führen. Ethisches Denken also als Anleitung zu einem guten Leben,“ schreibt Prof. Giovanni Maio, Arzt, Philosoph und Medizinethiker an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.〈1〉

ELF BIS 14 JAHRE LÄNGER LEBEN

 

Zu diesem gelingenden Leben gehören Maßnahmen, die sich nicht nur auf Korrekturen durch eine immer moderner werdende Medizin beschränken, nach dem Motto: Blutdruck zu hoch, Pille einwerfen. Jenseits jeglicher Präventionsgesetze geht es um aktive, im Wortsinn selbst-bewusste Korrekturen von Risikoverhalten im Alltag mit ganzheitlichen Ansätzen. Bereits kleine Veränderungen können große Wirkungen zeigen:

 Das „Richtige“ und weniger essen
 Sich täglich (mindestens) 30 Minuten bewegen
 Bei Belastungen entspannt bleiben
 Gut mit sich und anderen umgehen
 Auf ausreichenden Impfschutz achten

Ein gesunder Lebensstil, mehr noch: „positive Gesundheit“, kann die Lebenserwartung um elf bis 14 Jahre verlängern, lauten Ergebnisse aus EPIC (European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition), der größten europäischen prospektiven Kohortenstudie, die seit 1999 den Einfluss der Ernährung auf die Entstehung chronischer Erkrankungen erforscht. 〈2,3〉 Verhindern lassen sich 〈4〉

℘  92% aller Herzinfarkte
℘  90% aller Diabeteserkrankungen
℘  85% aller Erkrankungen des Knochen- und Muskelsystems
℘  50% aller Krebserkrankungen

Der Weg zu diesem Ziel ist eine Reise, an deren Anfang Selbstbestimmung und Selbstverantwortung stehen. Eines wie das andere ist für den Sozialphilosophen Prof. Armin G. Wildfeuer unentbehrlich für ein gelingendes Leben. Hinzu kommen 〈5〉

℘  Entschiedenheit bei der Auswahl aus der Vielfalt der Sinnangebote
℘  ein integrativer Umgang mit Widerständen
℘  die Fähigkeit zum Kompromiss
℘  Treue zum eigenen Lebensentwurf

Eine weitere Kraftquelle finden viele in ihrer Religiosität oder Spiritualität. Die einen glauben an einen Gott, andere daran, dass das Leben – jenseits von Konfessionen – Sinn und Bedeutung hat.

Sinn wiederum ist ein zentrales Thema in der Mind Body Medizin und damit in meinem Medical Training und Gesundheitscoaching. Es ist der bewusst gesetzte Kontrapunkt zur Selbstoptimierung und hilft Ihnen nach einem 10-Wochen-Programm, Ihre Gesundheit und Ihr Wohlbefinden ganzheitlich, eigenverantwortlich – und in aller Ruhe – zu steuern. Und Ihre biographischen Risse, Sprünge, Brüche zu integrieren. Die Methoden wurden und werden vielfach untersucht, sind wissenschaftlich anerkannt und in ihren positiven Auswirkungen auf die Körpersysteme nachgewiesen. Und da jeglicher Sieg im Kopf entschieden wird, werden aktuelle Erkenntnisse der Hirnforschung berücksichtigt.

JUGENDLICHKEIT MIT WEISHEIT IST SEXY

 

Weil ich die Kombination Jugendlichkeit und Weisheit sexy finde, verbinden sich in meinen Trainings und Coachings fünf Kernaspekte für ein gutes Leben:

℘  Innehalten und sich mit allen Bedürfnissen wahrnehmen
℘  In Kontakt kommen mit sich und anderen
℘  Zufrieden sein mit dem, was ist, und damit kreativ umgehen
℘  Den Körper und Geist ausgewogen bewegen
℘  Die Seele mit SlowSoul…Health Food wärmen

Lauter Elemente für einen Einstieg in ein verändertes Lebensgefühl und für die Möglichkeit, Zeit zu erleben als einen „perfekt ausbalancierten Weg, um zwischendurch alles loszulassen und beseelt“ in den Alltag zurückzukehren.

 
OHNE EINSICHT IN … DEN SINN DES GEGEBENEN
KÖNNEN WIR NICHT GLÜCKLICH WERDEN.
GIOVANNI MAIO
 

 

QUELLEN

1 Maio, Giovanni: Medizin ohne Maß? Vom Diktat des Machbaren zu einer Ethik der Besonnenheit. Trias Verlag 2o14

2, 3 EPIC (European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition): Studie 2o1o

4 EPIC 2oo4

5 Wildfeuer AG: Das „gute“ oder „gelingende“ Leben im Ethos der Demokratie. 5. Symposium des Professorenforums, 12. bis 13. April 2002, J. W. Goethe Universität, Frankfurt/Main

 

ZUM THEMA

Klahre, AS: Nationale Kohorte: Was macht krank, was hält gesund? All die schoenen Worte, 11/2o14

 

Sprechen in der Medizin: Mehr wie, weniger was

 

Mehr wie, weniger was: „Es ist sehr ernüchternd, dass nur 15 Prozent der Worte wirksam sind. Viel wichtiger ist der Tonfall und wie das Gesagte über die nonverbalen Signale der Mimik und Gestik begleitet werden.“

 

© Ines Seidel | Flickr

 

Vier Jahre ist es her, dass der Psychiater, Psychotherapeut und Schmerztherapeut Dr. Claus Derra aus Bad Mergentheim sich auf dem Deutschen Schmerzkongress mit dem Aspekt „Sprechen statt Stechen“ bei Schmerz beschäftigt hat.〈1〉„Aus der Placebo- und Noceboforschung wissen wir, dass geringe Zuwendung bei der Chronifizierung von Schmerzen eine große Rolle spielt”, sagte er seinerzeit.

An der Wichtigkeit dieser Thematik hat sich bis heute nichts geändert. Oder doch, Kommunikationsdefizite auch in der Medizin und allgemein in Gesundheitsberufen gehen inzwischen als Binsenweisheit durch. Leider ändert das nichts daran, dass das Ganze noch brisanter geworden ist und zumindest mitverantwortlich für fürchterliche Versäumnisse und folgenintensive Fehler. Und es gilt natürlich nicht nur für den Schmerz.

Da aber gerade in der psychologischen Schmerztherapie viele Arbeiten untersucht haben, wie „sprechende Medizin“ und psychotherapeutisches Handeln neurobiologisch wirken und wie Gehirn und Psyche die funktionellen Regelkreise im Gesamtorganismus beeinflussen, bleibt der Text bei dem Schwerpunkt und hat dennoch eine gewisse Allgemeingültigkeit.

Empathie verändert die Schmerzmatrix im Gehirn

2011 hatte eine in Science veröffentlichte Studie für größeres Interesse gesorgt, weil erstmals gezeigt werden konnte, dass Schmerz und Einsamkeit in der Großhirnrinde den gleichen Abschnitt des Schmerznetzwerks aktivieren – den anterioren Gyrus cinguli (ACC).〈2〉Der ACC als Teil des Limbischen Systems sorgt jedoch nicht für die Wahrnehmung von Schmerz, sondern regelt die emotionale Reaktion auf Schmerz. 

„Damit lassen sich eine Reihe bekannter bio-psycho-sozialer Einflussfaktoren erklären, die mit sozialem Rückzug und dem Erleben von Einsamkeit einhergehen – und mit somatischen Effekten im Sinne verschiedener Schmerzen“, so Derra. Beispielsweise würden Faktoren wie Ängstlichkeit, Depressivität und die Neigung zum Katastrophisieren die Tendenz zum sozialen Rückzug und zur Chronifizierung verstärken – und den Schmerzmittelgebrauch erhöhen. 

Die Studienautoren um Prof. Naomi Eisenberger, Direktorin des Department of Psychology an der University of California Los Angeles, haben seinerzeit geschrieben: „Wenn man die Dinge so betrachtet, leuchtet es unmittelbar ein, dass soziale Wärme und Unterstützung durch Bezugspersonen somatische Schmerzen lindern können.“ 

Mit anderen Worten: Empathie und Psychoedukation haben im Rahmen der gezielten ganzheitlichen und wenig invasiven Ansätze der psychologischen Schmerztherapie ein zusätzlich erhebliches Potenzial, die Schmerzmatrix im Gehirn zu verändern. 

 

Die Kunst des Sprechens ist es, dass vieles von dem,
was dem Patienten helfen kann,
sich auch mit seinen Überzeugungen treffen muss.
Dr. Claus Derra

 

„Schon die reine Informationsvermittlung zum Krankheitsmodell und das Darstellen der therapeutischen Möglichkeiten stellen eine Bereicherung der psychologischen Schmerztherapie dar, da man sich hier die Erwartungen zunutze macht, die Patienten an ihre Ärzte und Therapien haben, um die Compliance und damit die Behandlungsergebnisse signifikant zu beeinflussen“, hat Dr. Regine Klinger gesagt, Psychologische Leiterin des Bereichs Schmerzmedizin und Schmerzpsychologie am Zentrum für Anästhesiologie und Intensivmedizin des Universitätsklinikums Eppendorf in Hamburg (UKE).〈3〉 

Da das im positiven (Placeboeffekt) wie im negativen (Noceboeffekt) Sinne funktioniert und immer an die Vorerfahrungen der Patienten mit Therapien und Therapeuten gekoppelt ist, kommt es weniger auf das Was an, denn auf das Wie. 

„Es ist sehr ernüchternd, dass nur 15 Prozent der Worte wirksam sind“, sagte Derra. Viel wichtiger sei der Tonfall (35%) und wie das Gesagte über die nonverbalen Signale der Mimik und Gestik begleitet werden (50%). „Wir könnten eigentlich aufhören so viel zu reden, denn die Metakommunikation spielt die wesentliche Rolle.“ 

Erlebnis- und Gefühlswelten erfassen

Bereits der Großmeister der Kommunikationsforschung, Prof. Dr. Paul Watzlawik (1921-2007), hatte im kalifornischen Palo Alto in den 1990er-Jahren postuliert: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Und: „Zwischenmenschliche Kommunikationsabläufe sind entweder symmetrisch oder komplementär, je nachdem, ob die Beziehung zwischen Partnern auf Gleichheit oder Unterschiedlichkeit beruht.“ 

Derra hält deshalb einige basale kommunikative Fähigkeiten für wichtig, die ein Therapeut/Arzt haben sollte. Dazu gehört 

_ das Vermitteln von Informationen, die genau auf den Patienten zugeschnitten sind,

_ sich vergewissern, was der Patient verstanden hat,

_ so wirken, dass eine maximale Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Patient einmal getroffene Vereinbarungen über therapeutisches Vorgehen und Lebensstiländerungen ein- und beibehält.

„Wir sind hier im Bereich der Verhaltensänderungen. Den meisten Patienten kann erklärt und auch zugetraut werden, dass und wie sie eigene Kontrollstrategien – psychologische schmerztherapeutische Selbstkontrollstrategien – erlernen können, um das Endorphinsystem zu beeinflussen“, so Derra. Zusätzlich können schmerzlindernde Behandlungseffekte über gezielte Fokussierungsmaßnahmen oder selektive Aufmerksamkeitslenkung bewusster gemacht werden.

Die Kunst des Sprechens sei es, dass vieles von dem, was dem Patienten helfen kann, sich auch mit seinen Überzeugungen treffen müsse. Zu dem Zweck müsse man ihn erreichen. Die wesentlichen Funktionen des diagnostischen Gesprächs liegen neben dem Erfahren der krankheitsbezogenen somatischen und psychosozialen Informationen deshalb im Erfassen seiner Erlebnis- und Gefühlswelten – im Erkennen seiner Persönlichkeitsstrukturen, Defizite und Ressourcen, des Umgangs mit der Krankheit, der Sorgen, Nöte und Befürchtungen. Grundvoraussetzung in diesem Prozess ist das aktive Zuhören, die ärztliche Urtugend.

„Ich gehe sogar so weit zu sagen, dass aktives Zuhören die Medizin der Zukunft sein wird, sonst wird keine Medizin mehr sein“, sagt Prof. Dr. Gian Domenico Borasio, Palliativmediziner am Universitätsspital in Lausanne.〈4〉

Grenzen des Sprechens 

Grenzen des Sprechens werden bei schichtspezifischen Verständnis- und Verständigungsproblemen erreicht: „16 Prozent der Schmerzpatienten haben einen Sprachschatz unter Hauptschulniveau“, so Derra. Als weitere Handicaps auf Seiten der Patienten nannte der ehemalige Ärztliche Direktor des Reha-Zentrums in Bad Mergentheim mangelnde Motivation, Misstrauen in die Kompetenz des Therapeuten, Ideologien und eine insgesamt negative Erwartungshaltung: „Noceboeffekte führen dazu, dass eine wirksame Therapie nicht besser hilft als Zuckerwatte.“ Verstärkt würden diese Effekte seitens der Behandler u. a. durch einen schlechten Ruf und schlechte Informationsvermittlung, fehlende Empathie, Ideologien, Mangel an Zeit und Interesse. 

Die Tücken der „sprechenden Medizin“ hat der Verhaltensforscher Konrad Lorenz optimal subsummiert: „Gesagt heißt nicht immer gesagt, gesagt heißt nicht immer gehört, gehört heißt nicht immer verstanden, verstanden heißt nicht immer einverstanden, einverstanden heißt nicht immer angewendet, angewendet heißt nicht immer beibehalten.“ 

 

Noceboeffekte führen dazu, dass eine wirksame Therapie
 nicht besser hilft als Zuckerwatte.
Dr. Claus Derra

 

Quellen

1   Deutscher Schmerzkongress 2013. 23. bis 26. Oktober 2013, Hamburg Derra C: RF6

2   Eisenberger N, et al: Proc Natl Acad Sci. 2011; 108(28):11721-1126
http://dx.doi.org/10.1073/pnas.1108239108 

3   Deutscher Schmerzkongress: Eröffnungspressekonferenz, 23. Oktober 2013

4  Sterben verboten? Wie Hightech-Medizin den Tod verändert. Das Erste | ARD, 11. Dezember 2o17

 

Innehalten

 

 

 

Eine gute Verbindung zum Partner, zu Freunden, zu Menschen im Berufsleben ist eine Quelle, aus der wir Energie für den Alltag gewinnen. Wie unersetzlich aber Momente sind, in denen wir innehalten, zeigt sich immer dann, wenn wir abseits von Aktivitäten – oder Aktionismus – und vielen Leuten zur Ruhe kommen, langsamer, still werden. Nichts tun.

Wer seinem Bedürfnis nach Rückzug von Zeit zu Zeit folgt und die Abgeschiedenheit sucht, kann konzentriert Gedanken sammeln, an einem Problem oder Thema arbeiten. Oder in „ruhiger Wachheit“ abwarten, bis Erkenntnisse sich von selbst einstellen. Eine anspruchsvolle Übung hierbei: Nichts, rein gar nichts werten, was einem so in den Kopf kommt.

Solche Selbstgespräche können gut begleitet werden von Büchern, Musik, Gehen in einsamen Landschaften, Medititationen … die Möglichkeiten sind grenzenlos. Je ruhiger und harmonischer die Umgebung ist, umso besser.
 
Freuen Sie sich auf ein Abenteuer der anderen Art und lernen Sie sich neu kennen. Das Ergebnis ist mehr Kraft und Klarheit und das wunderbare Wissen, „the most difficult and the most intellectual thing in the world“ (Oscar Wilde) tun zu können: nichts. Jedenfalls nicht viel.

 

Gestresstes Herz, was brauchst Du?

 

  

Ungefähr so viele Menschen wie eine Kleinstadt Bewohner hat, erliegen jedes Jahr einem plötzlichen Herztod.
Das sind mehr als zusammengenommen jene, die hierzulande an Lungenkrebs, Brustkrebs und Aids sterben.

 

Die Erde – in Aufruhr. Die Menschheit richtet sie und sich zugrunde. Terroranschläge und andere gesellschaftliche Verrohungen vor der Haustür, weltweite Migration, hoher Arbeitsdruck, wirtschaftliche Sorgen … Die Verunsicherungen und Ängste vieler Menschen sind inzwischen mit Händen zu greifen, die Nerven vieler liegen blank. Wenn mehr oder minder chronischer Stress plötzlich und tödlich endet, lautet die Diagnose „plötzlicher Herztod“ (PHT) oder „Sekundentod“.

Immer wieder taucht hierbei das Bild vom scheinbar heiteren Himmel auf. Doch von rund 200.000 Menschen, die in Deutschland jedes Jahr einen akuten Herzstillstand nicht überleben, sind nur etwas mehr als zehn Prozent kardiale Risikopatienten, die nach einem Infarkt bereits an einer Herzmuskelschwäche litten oder eine andere Herzerkrankung hatten.〈1〉

 

Meistens geht diesem unvorhersehbaren
und schrecklichen Ereignis eine längere Phase
mit chronisch depressiver Stimmungslage voraus

Karl-Heinz Ladwig

 

„Meistens geht diesem unvorhersehbaren und schrecklichen Ereignis eine längere Phase mit chronisch depressiver Stimmungslage voraus. Im Nachhinein lassen sich in vielen Fällen klassische Alarmzeichen ausmachen, etwa finanzielle Sorgen, eine belastende Arbeits- oder frustrierende Familiensituation.“ Prof. Dr. Karl-Heinz Ladwig, am Helmholtz Zentrum München tätiger Psychokardiologe, hält diese psychosozialen Aspekte kardiologischer Leiden für unterrepräsentiert und machte dies im April in Mannheim anlässlich der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie deutlich: „Der plötzliche Herztod ereilt die Betroffenen entgegen einer verbreiteten Vorstellung in der Regel nicht nach einer einmaligen Aufregung. Akuter Ärger, Angst oder andere Aufregungen sind nur Auslöser.“〈2〉

Physiologisch betrachtetet sind meist Herzrhythmusstörungen wie Kammerflimmern oder auch das sogenannte Broken Heart Syndrom direkte Auslöser eines PHT. Beim Broken Heart Syndrom (auch: Stress-Kardiomyopathie, Tako-Tsubo-Syndrom) verengen sich die Herzkranzgefäße akut krampfartig. Betroffen sind vorwiegend Frauen jenseits der Wechseljahre. Die Symptome gleichen denen eines Herzinfarktes, sie treten meist unmittelbar nach negativ wie positiv emotional stark belastenden Ereignissen und Situationen auf, sei es der Tod eines Angehörigen oder Arbeitsplatzverlust, aber auch ein Lottogewinn oder ein Heiratsantrag. Oder ein Erdbeben.

Das hat unter anderem eine Studie aus Los Angeles gezeigt: Dort hatten Forscher die Auswirkungen des „Northridge Erdbebens“ am 17. Januar 1994 untersucht, eines der stärksten Erdbeben, das bis dato in den USA registriert worden war.〈3〉 Die Zahl der plötzlichen Herztode von durchschnittlich 2 bis 4 war am Tag der Katastrophe sprunghaft auf 24 angestiegen. 16 Menschen starben binnen einer Stunde nach den ersten Erschütterungen. Nur drei Todesfälle standen in Zusammenhang mit physischer Belastung. In der Woche nach dem Erdbeben lag die Zahl der plötzlichen Herztode unter dem Durchschnitt (2,7 ± 1,2).

 

Neben der Veranlagung spielt auch die Art,
wie Menschen mit emotionalen Belastungen umgehen,
eine wesentliche Rolle
Karl-Heinz Ladwig

 

„Auch wenn wir noch nicht alle Zusammenhänge im Detail verstehen, zeigt sich, dass es für den stressinduzierten Herztod zwei Komponenten braucht,“ so Ladwig. „Neben der Veranlagung spielt auch die Art eine wesentliche Rolle, wie Menschen mit emotionalen Belastungen umgehen. Anders ausgedrückt: Wer Stress besser bewältigen kann, hat ein geringeres Risiko, einen plötzlichen Herztod zu erleiden.“

Aus Sicht von SecondaVita Prævention zeigt die Problematik einmal mehr: Stress ist Stress, sei er positiv oder negativ, das Gehirn bzw. der Körper macht bei der Bewertung und der neurophysiologischen bzw. physiologischen Reaktionen keinen Unterschied. Gezieltes Stressmanagement, Entspannungstechniken und körperliche Bewegung können deshalb effizient das Risiko für einen plötzlichen Herztod signifikant senken.

Ganzheitlich gedacht ließe sich ergänzen:

 

Ernährung umstellen
 Gegebenenfalls Zigaretten- und Alkohlokonsum deutlich drosseln
 Genügend schlafen
 In geschützter Atmosphäre reden über das, was schwer lastet
 Sich sortieren, neu ordnen und wohltuende Perspektiven entwerfen
 Seelische Widerstandskraft – Resilienz – trainieren
 Sich eine lang nachklingende präventive Auszeit verordnen

 

Bei Verdacht auf eine klinisch manifeste Depression soll ein weiterer Experte hinzugezogen werden. 

Stress ist ein eigenständiger Risikofaktor für Herzerkrankungen und verdiene mehr Aufmerksamkeit, betonte Ladwig: „Schon das gezielte Ansprechen der Lebenssituation und psychischen Befindlichkeit kann einen hohen therapeutischen Wert haben.“

Dies mag den einen oder anderen Kardiologen überrascht haben.

 


 

1 Deutscher Herzbericht 2o16. Deutsche Herzstiftung, Berlin, 25. Januar 2o17

2 83. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie
Mannheim, 19.o4.-23.o4.2o17

3 Leor J et al:  N Engl J Med 1996; 334:413-419
DOI: 10.1056/NEJM199602153340701

 

 

Lust auf positive Gesundheit

© Fabian Christ | Flickr

 

Die Fastenzeit beginnt, der Bis-Ostern-Verzicht auf wahlweise Alkohol, Süßes, Tütensuppen und inzwischen sogar auf permanente Erreichbarkeit. Wie wäre es, wenn das eine oder andere auch darüber hinaus funktionieren könnte – mehr noch und sozusagen als frommer Wunsch: Möge das Fasten so ganz und gar Lust auf Gesundheit machen. Denn mit der Gesundheitskompetenz ist es ein Kreuz.

 

Gesundheit ist … für jeden etwas anderes. Die Ansichten darüber, welche Bedingungen über Gesundheit und Krankheit entscheiden, sind höchst unterschiedlich. Der persönliche Blick entscheidet weitgehend darüber, ob jemand gesundheitsbewusst lebt oder nicht. Wer davon überzeugt ist, dass Gesundheit überwiegend „eine Frage der Gene“ oder “Schicksal” sei und man da halt nichts machen könne, wird sich kaum für Prävention interessieren.

Das ist schade, weil internationale Studien eindrucksvoller denn je darauf hinweisen, dass die Gesundheitskompetenz des Einzelnen verbesserungswürdig ist. Forscher der Universität Bielefeld haben Gesundheitskompetenz als das Wissen, die Motivation und die Fähigkeit beschrieben, “gesundheitsrelevante Informationen ausfindig zu machen, zu verstehen, zu beurteilen und zu nutzen, um die Gesundheit erhalten, sich bei Krankheiten nötige Unterstützung durch das Gesundheitssystem sichern oder sich kooperativ an der Behandlung und Versorgung beteiligen und die dazu nötige Entscheidung treffen zu können.” 〈1〉International wird diese basale Kompetenz als Health Literacy bezeichnet.

Bei 54,3 Prozent der Deutschen will das eine wie das andere nicht so recht funktionieren, heißt es im Ergebnisbericht der im Dezember 2o16 veröffentlichten Health-Literacy-Studie (HLS-GER) der Universität Bielefeld.〈1〉Dazu passen jüngste Daten – freilich nicht nur – für Deutschland, wonach die Diagnose des Diabetes Typ II gewaltig zunehmen wird, die Betroffenen werden immer jünger. Zudem steigt laut DAK-Gesundheitsreport 2o16 die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage bei Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems, des Atmungssystems und bei psychischen Erkrankungen bei beiden Geschlechtern mit dem Alter kontinuierlich an.〈2〉

In dem interdisziplinären Feld der Gesundheitswissenschaften beschäftigt man sich daher intensiv mit Fragen zum Gesundheitsbewusstsein und Gesundheitsverhalten. In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten haben sich verschiedene Definitionen von Gesundheit entwickelt, die vor allem gemeinsam haben, dass es nicht länger schnöde um die “Abwesenheit von Krankheit” geht, sondern um eine positive und facettenreiche Auslegung.

Lebensqualität, Handlungsfähigkeit, Empathie

Der Begriff „positive Gesundheit“ beinhaltet Faktoren wie Lebensqualität, Handlungsfähigkeit, emotionale Kompetenz, Rollenkompetenz und die Möglichkeit, das vorhandene Potential gleichzeitig zu erfüllen und durch Erfahrungen zu erweitern. Außerdem:

  • Qualitativ hochwertige, vielseitige Ernährung
  • Körperliche und mentale Fitness durch Bewegung, täglich mindestens 30 Minuten
  • Keine „Genussgifte“
  • Optimale Hirndurchblutung durch Bewegung und Entspannungstechniken
  • Genügend und guter Schlaf
  • Balance zwischen An- und Entspannung
  • Stressbewältigung und in der Folge Gelassenheit bei Belastungen
  • Seelisch-soziale Gesundheit durch ganzheitliche Selbstführung
  • Ausreichender Impfschutz

Prävention vom Feinsten

Da jeder dieser Faktoren grundsätzlich dazu beiträgt, Krankheit zu verhindern, verzögern oder weniger wahrscheinlich zu machen, haben wir es genau genommen mit Prävention vom Feinsten zu tun. Dieser Begriff wiederum kommt vom lateinischen praevenire und bedeutet zuvorkommen. Jenseits jeglicher Präventionsgesetze kann ein derart gesunder Lebensstil große Wirkungen zeigen. Verhindern lassen sich 〈3〉

  • 92% aller Herzinfarkte,
  • 90% aller Diabeteserkrankungen,
  • 85% aller Erkrankungen des Knochen- und Muskelsystems,
  • 50% aller Krebserkrankungen,

verlängern lässt sich die Lebenserwartung um elf bis 14 Jahre.〈4〉So lauten Zwischenergebnisse aus EPIC (European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition), der größten europäischen prospektiven Kohortenstudie, die seit 1994 den Einfluss der Ernährung auf die Entstehung chronischer Erkrankungen erforscht.

Damit ist jede Krankheit, die nicht entsteht, die beste Entlastung für den, der eigenverantwortlich und gut mit sich umgeht. „Richtiges“ Fasten, also klassisch nach Buchinger oder einer leicht modifizierten Form, eignet sich wunderbar als Zäsur, um den Lebensstil zu hinterfragen und zu ändern.

 

© Sylvia Duckworth

 

 

1 Schaeffer D et al: Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland. Ergebnisbericht. Universität Bielefeld, Fakultät für Gesundheitswissenschaften. Dezember 2016
2 DAK-Gesundheitsreport 2o16
3 EPIC Studie 2oo4
4 EPIC Studie 2006, Studie 2008

 

Zum Thema

Nationale Kohorte: Was macht krank, was hält gesund?

 

Ein bisschen Bildung

 

© Dominik Meissner | Flickr

 

Es war einmal, da hatten „Sprache und Moral“ eine zentrale Bedeutung in der Erziehung und, Achtung!, in der Selbsterziehung. Zugrunde lag keine elitäre Vorstellung von Bildung, sondern eine, die auf Chancengleichheit zielte. Heute sind es nicht nur die ganz Alten, die konservative Werte missen.

Benehmen, Gesundheitskunde, Suchtprävention: In Zeiten pädagogischer, politischer, kommunikativer und sonstiger Bankrotterklärungen wünscht sich eine „repräsentative Zahl“ von Deutschen, dass diese drei Themen hierzulande möglichst schnell Pflicht-Schulfächer werden mögen. Was heutige Eltern, deren Erziehungsstile sich zunehmend um narzisstische Überhöhung und sexuelle Gewalt erweitern, nicht mehr leisten können, sollen dann Lehrer übernehmen, die bereits als Anwärter keine Idee haben, wie man überhaupt ein guter Lehrer wird. Auf Spiegel online nennt ein engagierter Deutschlehrer-Ausbilder bündig zwei elementare Voraussetzungen: Bildung und Begeisterung.

„Ein Mensch, der wenig gelernt hat, ist wie der Frosch, der seinen Tümpel für einen großen See hält“, lautet ein Bonmot, „Bildung beginnt mit Neugierde“ ein anderes. Der deutsche Dichter Heinrich Heine (1797-1856) fand, dass „so ein bißchen Bildung den ganzen Menschen ziert“ und für Alexander Mitscherlich (19o8-1982), ebenso bekannter wie umstrittener Psychoanalytiker im Nachkriegsdeutschland, bestand diese Zierde aus drei Teilen: Sach-, Sozial- und Herzensbildung. Herzensbildung, wie hübsch! und fast antiquiert wirkend, da es heute alle Welt mit der Empathie hat. Wenn sie es denn hat, denn der Begriff Bildung wird zeitgemäß verengt auf Wissen oder, noch enger, auf Fachwissen. Indes: Wissen ist nicht Ziel von, sondern Weg zur Bildung.

Die sich nach Bestätigung eigener Gedanken sehnende Seele ankert immer mal wieder gern bei einem Essay des Bildungsforschers Prof. Dr. Jürgen Overhoff, Rheinisch-Westfälische Universität Münster, der vor einiger Zeit im Tagesspiegel die Frage stellte: „Was ist gute Bildung?“ [1]

Was ist gute Bildung?

Eine nach wie vor schöne philosophische Frage, die Suche nach einer Antwort lohnt mehr denn je. Nicht nur, weil mangels einer einheitlichen Definition des Begriffes Bildung (von althochdeutsch Bildunga = Schöpfung, Bildnis, Gestalt) dieser ziemlich variabel jeweils das bezeichnet, „was gesellschaftliches Nützlichkeitsdenken der Herrschenden gerade für wichtig erachtet“. [2] Sondern eben auch, weil er auf Wissen reduziert wird.

Eine Klammer, die sich in nahezu allen Theorien wiederfindet, aber scheinbar nicht mehr vermittelbar ist, ist das reflektierte Verhältnis zu sich, zu anderen, zur Welt. Über die historische Bedeutung dieser „Kernkompetenz“ von Bildung, von guter Bildung gar, denkt der Historiker, Theologe und Philosoph Jürgen Overhoff nach. Er beginnt Mitte des 18. Jahrhunderts zu Zeiten der Aufklärung und somit vor Humboldts Rückgriff Anfang des 19. Jahrhunderts auf die humanistischen Ideale der Antike. „Dadurch werden zwangsläufig auch die ursprünglichen Bedeutungselemente dieses viel diskutierten Begriffs sichtbar,“ schreibt Overhoff.

Gute Bildung bestand demnach in einer möglichst umfassenden Welt- und Menschenkenntnis sowie im Beherrschen jener Umgangs- und Verhaltensformen, die es einem ermöglichten, „sich und Andern zum Glücke zu leben“ (Christian Fürchtegott Gellert). Der Weg zur Kenntnis der Welt und zu menschenfreundlichen Umgangsformen führte wesentlich über Sprache (ästhetische Spracherziehung, Förderung von Lese-, Analyse-, Argumentationskompetenz, logisches Schlussfolgern) und Moral.

Eine Persönlichkeit humboldtschen Formats

Auf solchem Fundament konnte dann, bei entsprechender Begabung, eine Persönlichkeit humboldtschen Formats reifen: ein Charakter mit Tugenden wie Toleranz, Empathie, Höflichkeit, guten Manieren, die allesamt unverzichtbar sind für lebenslanges Lernen, glückliches Wirken in der Gesellschaft und eine erfolgreiche Welterschließung.

Overhoff schließt mit der Überlegung, dass sich unsere Gesellschaft von diesem Bildungsbegriff mehrfach inspirieren lassen könnte. Zum einen frühestmöglich und dauerhaft dort, wo Bildungsprozesse sich in erster Linie vollziehen. Das sind und bleiben Elternhaus, Schule, Universität. „Zum anderen können und sollten wir uns … dazu anhalten lassen, wieder größeren Wert auf Moralerziehung und Charakterbildung zu legen, weil sie unverzichtbare Bestandteile eines gelungenen Bildungsprozesses sind.“

Dann mal los.

 

So ein bißchen Bildung ziert den ganzen Menschen
Heinrich Heine

 


 

1 Overhoff J: Was ist gute Bildung? Tagesspiegel o1/o4/2o12

2 Hoffmann B: Medienpädagogik. Eine Einführung in Theorie und Praxis. Schöningh, Paderborn 2003

Zum Thema

Erziehung: Wie wird mein Kind ein guter Mensch? Zehn wichtige Werte. t-online 23/12/2o14

 

Gern arbeiten


Wirksame Gesundheitsprävention gewinnt in Unternehmen zwar an Bedeutung, wird jedoch noch nicht konsequent umgesetzt.

 

 

Die jüngsten Gesundheitsmonitore und Studien gewähren tiefe Einblicke in die Abgründe des Arbeitsalltags in Deutschland: Mit mehr als 40 Millionen Arbeitsunfähigkeitstagen stehen psychische Erkrankungen insgesamt auf Platz 3 der Krankschreibungen, nach Erkrankungen des Muskel-/Skelettsystems und der Atemwege. [1] Zeit- und Leistungsdruck, unangemessene Bezahlung, Arbeitsverdichtung und Überforderung manövrieren Arbeitnehmer scheinbar unaufhaltsam in ein schweres Erschöpfungssyndrom, das wiederum Depressionen, Angst– oder Suchterkrankungen den Weg ebnen kann. Allein die Ausfalltage aufgrund depressiver Störungen sind in den letzten zehn Jahren um 255 Prozent gestiegen.

„Unser Augenmerk muss deshalb noch stärker auf dem betrieblichen Gesundheitsmanagement liegen. Hierbei sind alle Beteiligten gleichermaßen gefragt: Politik, Arbeitgeber und auch die Beschäftigten selbst,“ wird Dr. Iris Hauth, Ärztliche Direktorin des St. Joseph Krankenhauses, Berlin, und Präsidentin der Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) in einer Pressemitteilung der DGPPN zitiert.[2]

Auf Unternehmensseite scheint es zwar so zu sein, dass ein betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) immer häufiger als ein nicht länger zu ignorierender Faktor für die psychosoziale Gesundheit der Beschäftigten wahrgenommen wird, da nur gesunde und zufriedene MitarbeiterInnen die geforderte unternehmensspezifische Qualität erbringen können. Dennoch werden sinnvolle, auf die Wünsche und Bedürfnisse der MitarbeiterInnen zugeschnittene Maßnahmen nur selten angeboten; im Mittelstand bislang nur in jedem zehnten Unternehmen.

Als ein wichtiger Grund wurde anlässlich des 11. Gesundheitstages der Hamburger Wirtschaft Anfang April genannt, dass Chefs oder Geschäftsführer zusätzliche Kosten fürchten.[3] Dabei können Unternehmer pro MitarbeiterIn und Jahr 500 Euro als Freibetrag steuerfrei in Prävention investieren. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen wüssten aber oftmals nicht, wo sie ansetzen können, um etwas für die Gesundheit ihrer Leute zu tun. Eines sollten die Konzepte inzwischen allerdings sein: ganzheitlich. Also mehr als „Business-Yoga“.

 

Organisation und Führung sind zentrale Erfolgsfaktoren zur Realisierung
wirkungsvoller Präventionsstrategien

Wilfried von Eiff

 

Prävention, Organisation, Führung 

Wie wirksame Gesundheitsprävention in Unternehmen aussehen kann, darüber haben in der aktuellen Ausgabe der Hochschulzeitung HHL news der HHL Leipzig Graduate School of Management mehrere Führungskräfte nachgedacht.[4]

Ganz grundsätzlich geht es neben dem anhaltend wichtigen klassischen Arbeitsschutz zunächst um die psychische Gesundheit – um Transparenz bei stets subjektiv erlebten Belastungen, um offensives Stressmanagement und ja, um einen wertschätzenden, freundlichen Umgang miteinander. Das Stichwort lautet „Unternehmenskultur“ – und zwar eine, die der Mitarbeitergesundheit nicht schadet, sondern idealerweise das Gegenteil bewirkt.

„Wirksame Gesundheitsprävention in der Arbeitswelt darf sich nicht in betrieblich geförderten Fitnessprogrammen erschöpfen“, schreibt Prof. Dr. Dr. Wilfried von Eiff, Akademischer Direktor des Center for Health Care Management and Regulation. „Organisation und Führung sind vielmehr die zentralen Erfolgsfaktoren zur Realisierung wirkungsvoller Präventionsstrategien. Die Medizin funktioniert in aller Regel nur im Sinne eines Reparaturbetriebs.“

Für den Direktor der privaten Universität, Prof. Dr. Andreas Pinkwart, sind Prävention und Arbeitsplatzsicherheit die eine Seite der Medaille, gute Führung ist die andere. „Gut heißt in diesem Zusammenhang, dass mit den Mitarbeitern regelmäßig Ziele vereinbart werden, die sie nicht nur intrinsisch motivieren, sondern zuweilen auch herausfordern, die persönliche Latte etwas höher zu legen.“

Unabdingbar für das Betriebsklima in einer modernen Unternehmenskultur mit idealerweise flachen Hierarchien sei es auch, dass gute Arbeit wertgeschätzt wird. Geeignetes Führungspersonal habe zudem eine positive Fehlerkultur und die Fähigkeit, Schwächen von Personen und Prozessen zu erkennen, Verbesserungsmaßnahmen zu entwickeln und gemeinsam daran zu arbeiten, Probleme zu neutralisieren. „Nicht zuletzt ist mehr Verständnis vonnöten für die familiären Situationen von Mitarbeitern, ebenso für Mitarbeiter, die berufsbegleitend studieren,“ so Pinkwart.

Manche Unternehmen engagieren inzwischen einen Feelgood Manager w/m, um ihre Unternehmenskultur zu verbessern. Er soll als Bindeglied zwischen Geschäftsführung und Mitarbeitern agieren, eine angenehme Arbeitsatmosphäre schaffen, die interne Kommunikation und den Umgang mit Stressfaktoren verbessern. Als sinnvolle deutsche Übersetzung für das noch neue Berufsbild taugt wahrscheinlich der sperrige Begriff „Unternehmenskultur-Beauftragter“, er signalisiert zumindest, dass es um mehr als aktionistische Bespaßung geht. Auch haben wir es hier nicht mit einer begrifflichen Aufwertung des „Office Managers“ im Minijob zu tun. Es handelt sich vielmehr um eine Melange aus BGM und BWL – mit den sich daraus entwickelnden Fortbildungen für verschiedene Berufsgruppen, vor allem auch für Gesundheitswissenschaftler, denn die Konzepte der Prävention, Salutogenese und Resilienz spielen eine wichtige Rolle.

 

Ein Torwart, der einen Schuss erfolgreich abwehrt, erspart dem Team einen kräftezehrenden Kampf und vielleicht sogar eine Niederlage
Martin Busse

 

Inneren Schweinehund nicht unterschätzen

Die Bedeutung von Prävention zeigt sich Prof. Dr. Martin Busse, Direktor des Institute of Sports Medicine & Prevention, in jedem Fußballspiel: „Ein Torwart, der einen Schuss erfolgreich abwehrt, erspart dem Team einen kräftezehrenden Kampf und vielleicht sogar eine Niederlage.“ Prävention sei billiger und ethischer als jede Therapie – sofern es sich um die richtigen Maßnahmen handelt.

Hier können unterschiedliche Akzente gesetzt werden, beispielsweise im Bereich der Verpflegung, bei der Vorbeugung und Verringerung arbeitsbedingter Belastungen des Bewegungsapparats, in der Förderung einer proaktiven Mitarbeiterführung, beim Stressabbau. Im Gegensatz zum Qualitäts- und Arbeitsschutzmanagement gibt es im BGM keine etablierten Normen und Standards.

„Entscheidend für den Erfolg ist, dass im Vorfeld relevante Handlungsfelder erkannt werden, der Bedarf ermittelt wird, die Maßnahmen zielgerichtet mit Priorität angegangen werden sowie niedrigschwellig und getrennt für Häuptlinge und Indianer angeboten werden,“ hieß es dazu in Hamburg. Dann würden alle profitieren, Mitarbeiter und Arbeitgeber.

Nicht zu unterschätzen sei allerdings der innere Schweinehund bei den einen wie bei den anderen. Der Widerstand hat viele Facetten: Während die einen sich nicht eingestehen wollen oder können, dass sie möglichst demnächst eine Beratung oder störungsspezifische Intervention benötigen, sorgen sich andere um stigmatisierende Kommentare von wem auch immer, für wieder andere ist ein Investment in die Gesundheit mit zu großem Aufwand verbunden oder es ist ihnen, wie gesagt, schlicht nichts wert.

 

Leider fehlt bis heute die Betonung der Eigenverantwortung
Andreas Beivers

 

Die Weisheiten der Samurai

Wirklich erfolgreich wird Betriebliches Gesundheitsmanagement ohnehin erst, wenn entsprechendes Engagement von Unternehmerseite sich mit einer Haltung der Beschäftigten trifft, auch über BGM-Maßnahmen hinaus eigenverantwortlich und sozusagen für immer ins Thema Gesundheit einzusteigen.

„Leider fehlt bis heute die Betonung der Eigenverantwortung,“ schreibt Prof. Dr. Andreas Beivers, Akademischer Direktor am Center for Health Care Management and Regulation der Leipziger Graduiertenschule. Vor dem Hintergrund immer dringlicher diskutierter Prävention bei den sich beständig ausbreitenden Lebensstil-Krankheiten jenseits psychiatrischer Diagnosen (z. B. Fettleibigkeit, Diabetes) sollte sich jeder, abhängig von seinen Möglichkeiten, intensiv um sich kümmern, mahnt Beivers. „Dies kann auch über Angebote der Krankenkassen oder anderer Institutionen der Daseinsfürsorge erfolgen.“

Die Reise zum Ziel Gesundheitsbewusstsein ist nach Erkenntnissen der Gesundheitsverhaltensforschung damit verbunden, dass jeder, der sich persönlich entwickeln will, bisherige Verhaltensweisen ändern und durch Phasen der Motivation, Vorbereitung, des Handelns und Durchhaltens muss. Die Reise ist dann hochspannend, wenn sich Klient und Trainer bzw. Therapeut gemeinsam aufmachen – und der Therapeut sich als einfühlsamer Partner zeigt, der genauso mit dem Leben ringt wie sein Klient. Sowohl im Einzeltraining als auch in der Gruppe lernen Klienten auf diese Weise, unabhängig zu werden, Verantwortung für sich zu übernehmen und die Lebensqualität zu steigern, ohne andere dabei zu vergessen.

Vor allem für Manager setzen manche Trainer bei Veränderungsprozessen auf die Weisheiten der Samurai. Deren Kampfkünste ruhen auf drei Säulen: Professionalität in den Fähigkeiten und Fertigkeiten, in der Konzentration und Kraft, bei Bewusstsein und Achtsamkeit.

 

 


 

1 Gesundheitsreport 2o16. DAK, März 2o16 

2 Arbeit darf nicht krank machen: Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Berlin, Pressemitteilung 15, 27. April 2015

3 Gesundheitstag der Hamburger Wirtschaft: Betriebliches Gesundheitsmanagement von A bis Z. Vortragsblock „Los geht ́s – Unternehmen berichten aus der Praxis“. Handelskammer Hamburg, 1. April 2o15

4 Healthy Leadership: Prevention, promotion, balance. Leipzig Graduate School of Management, HHL news, Spring 2015