Erschöpfter Nachwuchs

Eine europaweite Umfrage bei jungen Onkologen hat die Arbeits- und Lebensstilfaktoren in Bezug auf stressbedingte Gesundheitsstörungen untersucht.

 

Maximale Verausgabung, minimale Wertschätzung: Die Balance zwischen Engagement und Belohnung stimmt auch bei (Klinik-) Ärzten nicht immer, insbesondere nicht bei den unter 40-Jährigen – und schon gar nicht bei angehenden Krebsspezialisten. Die fühlen sich durch komplexe therapeutische Entscheidungen und die ständige Konfrontation mit Leid und Tod emotional stark belastet – bei gleichzeitiger Arbeit unter enormem (Kosten-)Druck mit stetig steigenden Qualitätsanforderungen und Behandlungsfällen pro Arzt.

Rund 71% leiden unter jenem Zeitphänomen, das die einen als Burnout bezeichnen, die anderen als begriffliches Vehikel für affektive Störungen wie Depressionen, Ängste, Drogenmissbrauch. Schlüsseldimensionen auf dem Weg in den Teufelskreis sind in jedem Fall emotionale Erschöpfung, Depersonalisation („Patientenaversion“) und reduzierte Leistungsfähigkeit als Folge nicht erfüllter individueller arbeitsbezogener Wertvorstellungen einschließlich objektiv belastender Arbeitszeiten.

Diese zentralen Ergebnisse der europaweit in 41 Ländern durchgeführten Umfrage Burnout-Prävalenz und Work-Life-Balance bei jungen Onkologen wurden im vergangenen September anlässlich des Jahreskongresses der Europäischen Gesellschaft für Medizinische Onkologie (ESMO 2o14) in Madrid vorgestellt.

Die Mitglieder der ESMO-Arbeitsgruppe „Junge Onkologen“ haben 737 Onkologen und angehende Onkologen (62% Frauen) befragt und die Ergebnisse von 595 Befragungen ausgewertet: 71% zeigen die typischen Symptome eines massiven stressbedingten Erschöpfungssyndroms mit Depersonalisation (50%), emotionaler Erschöpfung (35%) und Leistungsdefiziten (35%).

Betroffen sind vor allem 26- bis 30-jährige Männer in Südost- und Mitteleuropa, deren Arbeitgeber keine Hilfsangebote zur Verfügung stellen und keine ausreichenden Erholungszeiten vorsehen. Der Grad der seelischen und körperlichen Erschöpfung korreliert mit dem Ausmaß der Arbeitsverdichtung, der Wege- und Arbeitszeit sowie mit privaten Parametern wie Beziehungsstatus und Zahl der Kinder.

Arbeits- und Lebenszufriedenheit strahlt positiv auf die Patientenversorgung, auf die Kommunikation und auf die Zusammenarbeit mit Kollegen
Susana Banerjee

Unterstützung und ein „lösungsorientiertes Nein“

„Die Onkologie ist ein faszinierendes und sehr anspruchsvolles Fach und kann außerordentlich stressig sein,“ wird Dr. Susana Banerjee, Onkologin am Royal Marsden NHS Trust in London und Erstautorin der Studie, in einer ESMO-Pressemitteilung zitiert. Die Umfrage habe gezeigt, dass schon der Nachwuchs häufig ausgebrannt sei, was zu gravierenden persönlichen Problemen bis hin zur Suizidalität führen könne.

Wege aus dem Hamsterrad sieht Banerjee naturgemäß in der Prävention, vor allem aber in der Unterstützung. Über die spezifischen Belastungen dieses Fachs müssten die künftigen Kollegen bereits während des Studiums informiert werden. Ein anderer Blick auf die (eigene) Tätigkeit sei ebenso wichtig wie gegebenenfalls die Inanspruchnahme von Supervision. Es müsse Raum dafür geben, belastende Aspekte der Arbeit auch diskutieren zu können.

Die Mediziner selbst sollten Strategien erlernen, die die Selbstwahrnehmung und -wirksamkeit erhöhen, einen konstruktiven Umgang mit Stress ermöglichen und das eigene Zeitmanagement verbessern. Ein gelegentliches „lösungsorientiertes Nein“ ohne Befürchtung von Sanktionen gehöre ebenfalls dazu.

„Es gibt ein Leben jenseits von Forschung, Lehre und täglicher klinischer Praxis. Auch im Hinblick auf künftige Generationen von Onkologen müssen wir junge Kollegen darin unterstützen, eine gute Work-Life-Balance zu entwickeln,“ so die Autorin. Das sei entscheidend, denn Arbeits- und Lebenszufriedenheit strahle positiv auf die Patientenversorgung, auf die Kommunikation und Zusammenarbeit mit Kollegen. Und überhaupt auf alles.

Fast alle Ärzte erleben den ökonomischen Druck als eine Bedrohung ihrer ethischen Grundsätze. Fast alle Befragten sprachen von Bedrohung, einige von Verletzung, einige sogar von Abscheu über die Art und Weise, wie sie arbeiten müssen
Prof. Dr. Karl-Heinz Wehkamp

 


 

Banarjee S et al: ESMO (online) 28. September 2014
Abstract: #1o81O_PR