Wirksame Gesundheitsprävention gewinnt in Unternehmen zwar an Bedeutung, wird jedoch noch nicht konsequent umgesetzt.
Die jüngsten Gesundheitsmonitore und Studien gewähren tiefe Einblicke in die Abgründe des Arbeitsalltags in Deutschland: Mit mehr als 40 Millionen Arbeitsunfähigkeitstagen stehen psychische Erkrankungen insgesamt auf Platz 3 der Krankschreibungen, nach Erkrankungen des Muskel-/Skelettsystems und der Atemwege. [1] Zeit- und Leistungsdruck, unangemessene Bezahlung, Arbeitsverdichtung und Überforderung manövrieren Arbeitnehmer scheinbar unaufhaltsam in ein schweres Erschöpfungssyndrom, das wiederum Depressionen, Angst– oder Suchterkrankungen den Weg ebnen kann. Allein die Ausfalltage aufgrund depressiver Störungen sind in den letzten zehn Jahren um 255 Prozent gestiegen.
„Unser Augenmerk muss deshalb noch stärker auf dem betrieblichen Gesundheitsmanagement liegen. Hierbei sind alle Beteiligten gleichermaßen gefragt: Politik, Arbeitgeber und auch die Beschäftigten selbst,“ wird Dr. Iris Hauth, Ärztliche Direktorin des St. Joseph Krankenhauses, Berlin, und Präsidentin der Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) in einer Pressemitteilung der DGPPN zitiert.[2]
Auf Unternehmensseite scheint es zwar so zu sein, dass ein betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) immer häufiger als ein nicht länger zu ignorierender Faktor für die psychosoziale Gesundheit der Beschäftigten wahrgenommen wird, da nur gesunde und zufriedene MitarbeiterInnen die geforderte unternehmensspezifische Qualität erbringen können. Dennoch werden sinnvolle, auf die Wünsche und Bedürfnisse der MitarbeiterInnen zugeschnittene Maßnahmen nur selten angeboten; im Mittelstand bislang nur in jedem zehnten Unternehmen.
Als ein wichtiger Grund wurde anlässlich des 11. Gesundheitstages der Hamburger Wirtschaft Anfang April genannt, dass Chefs oder Geschäftsführer zusätzliche Kosten fürchten.[3] Dabei können Unternehmer pro MitarbeiterIn und Jahr 500 Euro als Freibetrag steuerfrei in Prävention investieren. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen wüssten aber oftmals nicht, wo sie ansetzen können, um etwas für die Gesundheit ihrer Leute zu tun. Eines sollten die Konzepte inzwischen allerdings sein: ganzheitlich. Also mehr als „Business-Yoga“.
Organisation und Führung sind zentrale Erfolgsfaktoren zur Realisierung
wirkungsvoller Präventionsstrategien
Wilfried von Eiff
Prävention, Organisation, Führung
Wie wirksame Gesundheitsprävention in Unternehmen aussehen kann, darüber haben in der aktuellen Ausgabe der Hochschulzeitung HHL news der HHL Leipzig Graduate School of Management mehrere Führungskräfte nachgedacht.[4]
Ganz grundsätzlich geht es neben dem anhaltend wichtigen klassischen Arbeitsschutz zunächst um die psychische Gesundheit – um Transparenz bei stets subjektiv erlebten Belastungen, um offensives Stressmanagement und ja, um einen wertschätzenden, freundlichen Umgang miteinander. Das Stichwort lautet „Unternehmenskultur“ – und zwar eine, die der Mitarbeitergesundheit nicht schadet, sondern idealerweise das Gegenteil bewirkt.
„Wirksame Gesundheitsprävention in der Arbeitswelt darf sich nicht in betrieblich geförderten Fitnessprogrammen erschöpfen“, schreibt Prof. Dr. Dr. Wilfried von Eiff, Akademischer Direktor des Center for Health Care Management and Regulation. „Organisation und Führung sind vielmehr die zentralen Erfolgsfaktoren zur Realisierung wirkungsvoller Präventionsstrategien. Die Medizin funktioniert in aller Regel nur im Sinne eines Reparaturbetriebs.“
Für den Direktor der privaten Universität, Prof. Dr. Andreas Pinkwart, sind Prävention und Arbeitsplatzsicherheit die eine Seite der Medaille, gute Führung ist die andere. „Gut heißt in diesem Zusammenhang, dass mit den Mitarbeitern regelmäßig Ziele vereinbart werden, die sie nicht nur intrinsisch motivieren, sondern zuweilen auch herausfordern, die persönliche Latte etwas höher zu legen.“
Unabdingbar für das Betriebsklima in einer modernen Unternehmenskultur mit idealerweise flachen Hierarchien sei es auch, dass gute Arbeit wertgeschätzt wird. Geeignetes Führungspersonal habe zudem eine positive Fehlerkultur und die Fähigkeit, Schwächen von Personen und Prozessen zu erkennen, Verbesserungsmaßnahmen zu entwickeln und gemeinsam daran zu arbeiten, Probleme zu neutralisieren. „Nicht zuletzt ist mehr Verständnis vonnöten für die familiären Situationen von Mitarbeitern, ebenso für Mitarbeiter, die berufsbegleitend studieren,“ so Pinkwart.
Manche Unternehmen engagieren inzwischen einen Feelgood Manager w/m, um ihre Unternehmenskultur zu verbessern. Er soll als Bindeglied zwischen Geschäftsführung und Mitarbeitern agieren, eine angenehme Arbeitsatmosphäre schaffen, die interne Kommunikation und den Umgang mit Stressfaktoren verbessern. Als sinnvolle deutsche Übersetzung für das noch neue Berufsbild taugt wahrscheinlich der sperrige Begriff „Unternehmenskultur-Beauftragter“, er signalisiert zumindest, dass es um mehr als aktionistische Bespaßung geht. Auch haben wir es hier nicht mit einer begrifflichen Aufwertung des „Office Managers“ im Minijob zu tun. Es handelt sich vielmehr um eine Melange aus BGM und BWL – mit den sich daraus entwickelnden Fortbildungen für verschiedene Berufsgruppen, vor allem auch für Gesundheitswissenschaftler, denn die Konzepte der Prävention, Salutogenese und Resilienz spielen eine wichtige Rolle.
Ein Torwart, der einen Schuss erfolgreich abwehrt, erspart dem Team einen kräftezehrenden Kampf und vielleicht sogar eine Niederlage
Martin Busse
Inneren Schweinehund nicht unterschätzen
Die Bedeutung von Prävention zeigt sich Prof. Dr. Martin Busse, Direktor des Institute of Sports Medicine & Prevention, in jedem Fußballspiel: „Ein Torwart, der einen Schuss erfolgreich abwehrt, erspart dem Team einen kräftezehrenden Kampf und vielleicht sogar eine Niederlage.“ Prävention sei billiger und ethischer als jede Therapie – sofern es sich um die richtigen Maßnahmen handelt.
Hier können unterschiedliche Akzente gesetzt werden, beispielsweise im Bereich der Verpflegung, bei der Vorbeugung und Verringerung arbeitsbedingter Belastungen des Bewegungsapparats, in der Förderung einer proaktiven Mitarbeiterführung, beim Stressabbau. Im Gegensatz zum Qualitäts- und Arbeitsschutzmanagement gibt es im BGM keine etablierten Normen und Standards.
„Entscheidend für den Erfolg ist, dass im Vorfeld relevante Handlungsfelder erkannt werden, der Bedarf ermittelt wird, die Maßnahmen zielgerichtet mit Priorität angegangen werden sowie niedrigschwellig und getrennt für Häuptlinge und Indianer angeboten werden,“ hieß es dazu in Hamburg. Dann würden alle profitieren, Mitarbeiter und Arbeitgeber.
Nicht zu unterschätzen sei allerdings der innere Schweinehund bei den einen wie bei den anderen. Der Widerstand hat viele Facetten: Während die einen sich nicht eingestehen wollen oder können, dass sie möglichst demnächst eine Beratung oder störungsspezifische Intervention benötigen, sorgen sich andere um stigmatisierende Kommentare von wem auch immer, für wieder andere ist ein Investment in die Gesundheit mit zu großem Aufwand verbunden oder es ist ihnen, wie gesagt, schlicht nichts wert.
Leider fehlt bis heute die Betonung der Eigenverantwortung
Andreas Beivers
Die Weisheiten der Samurai
Wirklich erfolgreich wird Betriebliches Gesundheitsmanagement ohnehin erst, wenn entsprechendes Engagement von Unternehmerseite sich mit einer Haltung der Beschäftigten trifft, auch über BGM-Maßnahmen hinaus eigenverantwortlich und sozusagen für immer ins Thema Gesundheit einzusteigen.
„Leider fehlt bis heute die Betonung der Eigenverantwortung,“ schreibt Prof. Dr. Andreas Beivers, Akademischer Direktor am Center for Health Care Management and Regulation der Leipziger Graduiertenschule. Vor dem Hintergrund immer dringlicher diskutierter Prävention bei den sich beständig ausbreitenden Lebensstil-Krankheiten jenseits psychiatrischer Diagnosen (z. B. Fettleibigkeit, Diabetes) sollte sich jeder, abhängig von seinen Möglichkeiten, intensiv um sich kümmern, mahnt Beivers. „Dies kann auch über Angebote der Krankenkassen oder anderer Institutionen der Daseinsfürsorge erfolgen.“
Die Reise zum Ziel Gesundheitsbewusstsein ist nach Erkenntnissen der Gesundheitsverhaltensforschung damit verbunden, dass jeder, der sich persönlich entwickeln will, bisherige Verhaltensweisen ändern und durch Phasen der Motivation, Vorbereitung, des Handelns und Durchhaltens muss. Die Reise ist dann hochspannend, wenn sich Klient und Trainer bzw. Therapeut gemeinsam aufmachen – und der Therapeut sich als einfühlsamer Partner zeigt, der genauso mit dem Leben ringt wie sein Klient. Sowohl im Einzeltraining als auch in der Gruppe lernen Klienten auf diese Weise, unabhängig zu werden, Verantwortung für sich zu übernehmen und die Lebensqualität zu steigern, ohne andere dabei zu vergessen.
Vor allem für Manager setzen manche Trainer bei Veränderungsprozessen auf die Weisheiten der Samurai. Deren Kampfkünste ruhen auf drei Säulen: Professionalität in den Fähigkeiten und Fertigkeiten, in der Konzentration und Kraft, bei Bewusstsein und Achtsamkeit.
1 Gesundheitsreport 2o16. DAK, März 2o16
2 Arbeit darf nicht krank machen: Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Berlin, Pressemitteilung 15, 27. April 2015
3 Gesundheitstag der Hamburger Wirtschaft: Betriebliches Gesundheitsmanagement von A bis Z. Vortragsblock „Los geht ́s – Unternehmen berichten aus der Praxis“. Handelskammer Hamburg, 1. April 2o15
4 Healthy Leadership: Prevention, promotion, balance. Leipzig Graduate School of Management, HHL news, Spring 2015