Flexibel, individuell, alltagstauglich, köstlich: Ernährungsempfehlungen müssen nicht kompliziert
sein. Wenige einfache, verlässliche Regeln und eine mühelose Umsetzung können viel bewirken – im Allgemeinen und Besonderen.
„Gib dem Tumor keinen Zucker“ heißt ein solcher Merksatz in der komplementären Onkologie, denn Tumoren verbrauchen einen wesentlichen Teil der über die Nahrung zugeführten Energie für das eigene Wachstum. Am liebsten eben Zucker. Die Ernährung von Krebspatienten wird deshalb häufig dahingehend umgestellt, dass leere Kohlenhydrate gegen komplexe Kohlenhydrate bzw. Ballaststoffe ersetzt werden.
Den damit verbundenen Empfehlungen kommt zugute, dass die Wirkungen Sekundärer Pflanzenstoffe (SPS) in Obst, Gemüse und Hülsenfrüchten wissenschaftlich inzwischen dahingehend anerkannt sind, dass sie den Körper erfolgreich dabei unterstützen, das Wachstum von Tumorzellen zu blockieren und den Krankheitsverlauf zu verlangsamen. Und nicht nur das, schon viel früher wirken sie antioxidativ, das heißt, sie wehren freie Radikale ab, die den Zellkern und damit Erbinformationen nachhaltig schädigen und somit die Krebsentwicklung begünstigen. Darüber hinaus wirken SPS wie Antibiotika, töten also Bakterien bzw. stoppen deren Vermehrung. Nicht zuletzt aktivieren sie die Killerzellen des Immunsystems gegen Krankheitserreger.
Beispielsweise konnte die Arbeitsgruppe Zellbiologie und Neuroonkologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) 2014 zeigen, dass verschiedene pflanzliche Östrogene (Phytoöstrogene) in Zellen von bösartigen Hirntumoren das Prinzip der sogenannten Anti-Angiogenese beeinflussen. Es besteht darin, dem Tumor die Lebens- und Wachstumsgrundlage – die Zufuhr mit bestimmten Nährstoffen über die Blutgefäße – zu entziehen, zumindest aber nennenswert zu hemmen. Das ist deshalb bemerkenswert, da bei malignen Hirntumoren die Prognosen nach wie vor schlecht und die therapeutischen Möglichkeiten begrenzt sind. Grund: Die Tumorzellen reagieren auf Bestrahlung und Chemotherapie nicht sensibel genug.
Als besonders wirksam haben die FAU-Forscher das Isoflavon Biochanin A (BCA) identifiziert. Isoflavone stecken in großen Mengen in Hülsenfrüchten, z. B. in Kichererbsen und Sojabohnen. Aufnahmen im Magnetresonanztomographen haben laut Studie gezeigt, dass tumorbedingte Hirnödeme nennenswert abnahmen. Auch zeigte sich ein Trend in Richtung verlängerter Überlebenszeit.
Die Autoren schlussfolgern, dass eine obst- und gemüse- und damit auch ballaststoffreiche Ernährung auch in der Krebstherapie viel häufiger empfohlen und konsequent umgesetzt werden sollte.
Sekundäre Pflanzenstoffe
Da lohnt einmal mehr ein Blick auf die Sekundären Pflanzenstoffe. Sie kommen in allen Pflanzen in nur geringen Mengen, aber gigantischer Vielfalt vor. Pflanzen sichern mit der Produktion von SPS ihr eigenes Überleben. Man spricht auch von Bioaktivstoffen oder – in Anlehnung an die Vitamine – von Phytaminen. Im übertragenen Sinne werden die einen wie die anderen als unentbehrlich für das menschliche Überleben beziehungsweise für die Gesundheit eingestuft.
Der Versuch, SPS in einer Zahl zu erfassen, ist schwierig. Allein bei den Flavonoiden geht man von 6.000 bis 10.000 Vertretern aus, bekannt sind 5.000. Im Weißkohl wurden 49 verschiedene SPS identifiziert. Eineinhalb Gramm SPS – etwa so viel werden mit einer gemischten Kost täglich aufgenommen – setzen sich aus 5.000 bis 10.000 Einzelsubstanzen zusammen, die unter anderem für den Geschmack, den Duft und die Farbe von Obst und Gemüse verantwortlich sind.
Der Arzneimittelindustrie dienen SPS als Basis für zahlreiche Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel, Food-Designer entwickeln gemeinsam mit Unternehmen der Nahrungsindustrie neue köstliche „Lebensmittel mit gesundem Zusatznutzen“. Superfoods, Lifestyle-Produkte von Rote-Bete-Chips über schokolierte Aroniabeeren zum Matcha-Zitronen-Kuchen markieren hier den jüngsten Trend.
Für den nächsten Wochenmarkteinkauf eine Übersicht über Vorkommen und Wirkung der wichtigsten SPS.
Carotinoide
Wirkung
Die Pflanzenfarbstoffe stimulieren die Immunabwehr und wirken antioxidativ und können bei Tumorzellen den Zyklus von Zellwachstum und -teilung beeinflussen. Das bekannteste unter den bisher rund 600 identifizierten Carotinoiden ist das Beta-Carotin.
Vorkommen
Reichlich in gelb- und rotfleischigen Früchten wie Gojibeeren (Gemeiner Bocksdorn), Aprikosen, Mangos, Pfirsich, Kürbis, Möhren und Tomaten; in grünblättrigen Gemüsen wie Grün-, Weißkohl, Brokkoli, Mangold, Spinat.
Flavonoide
Wirkung
Nichts geht ohne sie. Die meist gelben, aber auch roten, blauen oder violetten Farbstoffe stimulieren die natürlichen Killerzellen des Immunsystems, hemmen die Umwandlung von Krebsvorläuferzellen in Krebszellen und wirken als Antioxidantien.
Vorkommen
Direkt unter der Schale von Obst, in Gemüse und vielen Heilkräutern. Besonders wirksam sind Flavonoide, die aus roten Trauben und Pflaumen (Resveratrol), aus Äpfeln, Heidel- und Moosbeeren, Zwiebeln, Auberginen, Rosenkohl, Kamille und grünem Tee stammen.
Glucosinolate
Wirkung
Die zu den Senfölen gehörenden Geschmacksstoffe hindern Tumorvorläuferzellen daran, aktiv zu werden und sorgen für die „Entschärfung“ virulenter Krebszellen.
Vorkommen
In allen Kohlarten und scharf schmeckenden Pflanzen wie Rettich, Senf, Kresse, Zwiebeln.
Phenolsäuren | Polyphenole
Wirkung
Jagen freie Radikale und schützen tiefer liegende Gewebeschichten vor oxidativen Angriffen. Von Bedeutung sind allem vier Vertreter: Ferula-, Kaffee-, Ellagsäure, Resveratrol.
Vorkommen
Ferula- und Kaffeesäure stecken vorwiegend in Grün-, Weißkohl, Paprika, grünen Bohnen, Radieschen. Ellagsäure findet sich in allen Beeren, in Walnüssen und im Granatapfel; Resveratrol vor allem in roten Trauben, Himbeeren, Pflaumen, Erdnüssen.
Phytoöstrogene
Wirkung
Die Gesamtzahl der Phytoöstrogene wird auf etwa 50.000 geschätzt. Etwa 10.000 kommen in Lebensmitteln vor, nur ein Bruchteil ist bisher erforscht. Phytoöstrogene ähneln den körpereigenen Östrogenen und haben die gleichen Effekte, nur deutlich schwächer. Sie werden in drei Gruppen unterteilt: Isoflavone (Genistein, Daidzein), Lignane und Coumestane. Sie alle wirken antioxidativ und beeinflussen Entzündungsprozesse, den Hormonhaushalt und das Zellwachstum.
Vorkommen
Reichlich in asiatischer und Mittelmeerkost. Isoflavone stecken in Hülsenfrüchten, Hauptquelle ist die Sojabohne. Lignane kommen vor allem in Leinsamen, Beeren, Weizen, Gerste, Sesam, Brokkoli, Rosinen, Hasel- und Walnüssen vor, Coumestane in Luzernensamen wie Alfalfasprossen. Als Infektionsquelle der Ehec (Enterohämorrhagische Escherichia coli) -Epidemie 2011 spielen Sprossen bei uns seither keine Rolle mehr.
Phytosterine
Wirkung
Phytosterine sind die erste Gruppe von SPS, die wegen ihrer Wirkung im menschlichen Organismus – cholesterinsenkend – zu funktionellen Lebensmitteln verarbeitet wurden. Analog zum Cholesterin im tierischen Gewebe sind Phytosterine essentielle Bestandteile bestimmter Pflanzenteile. Mindestens 44 Phytosterine aus sieben Pflanzenfamilien wurden bisher identifiziert, das häufigste in der Nahrung vorkommende ist das Beta-Sitosterin. Studien haben zudem einen Zusammenhang zwischen einer Ernährung mit viel Phytosterinen und einem niedrigen Risiko für Dickdarmkrebs hergestellt.
Vorkommen
In fettreichen Pflanzenteilen (Sonnenblumenkernen, Sesamsaaten, Kürbiskernen, schwarzen Oliven); einigen Gemüse- (Blumen-, Rosenkohl, Brokkoli) und Obstsorten (Orangen, Grapefruits).
Wirkung
Phytin wurde lange als unerwünschter Inhaltsstoff in pflanzlichen Samen angesehen, da Phytin die Mineralstoffaufnahme bremsen kann, wenn die Nahrung wenig Vitamin C enthält. Wer sich aber an die üblichen Nahrungszubereitungsarten und eine ausgewogene Mischkost hält, ist auf der sicheren Seite. Untersuchungen haben zudem auf eine Krebsschutzwirkung im Dickdarm hingewiesen.
Vorkommen
In allen pflanzlichen Samen und damit vor allem in Getreidevollkornprodukten, Hülsenfrüchten und Nüssen.
Protease-Inhibitoren
Wirkung
Weil diese Hemmstoffe im menschlichen Organismus wichtige Eiweiß spaltende Enzyme unterdrücken, galten sie früher eher als gesundheitsschädlich. Heute werden ihnen krebshemmende Eigenschaften zugesprochen, vor allem im Zusammenhang mit Mundhöhlen-, Lungen-, Leber-, Speiseröhren- und Dickdarmkrebs.
Vorkommen
Reichlich in Kartoffeln, Erbsen, Erdnüssen, Soja.
Saponine
Wirkung
Diese in reiner Form sehr bitter schmeckenden Substanzen werden nur in geringen Mengen vom Körper aufgenommen. Sie sollen speziell das Dickdarmkrebsrisiko senken, indem sie Cholesterin und Gallensäuren binden.
Vorkommen
In Hülsenfrüchten, z. B. Linsen, Bohnen, Kichererbsen, Sojabohnen.
Sulfide
Wirkung
Diese schwefelhaltigen Substanzen, allen voran das Alliin und Allicin, sind verantwortlich für den intensiven Geschmack und nachhaltigen Geruch der Lauchgewächse. Sie gelten als äußerst vielseitig, schützen vor schädlichen Oxidationen und speziell vor Magenkrebs. Warum, ist noch nicht endgültig geklärt. Diskutiert werden unter anderem die Hemmung von Enzymen, die krebsauslösende Mechanismen aktivieren können und eine Stimulation des Immunsystems.
Vorkommen
In Lauch, Schnittlauch, Knoblauch, Zwiebeln, Schalotten.
Terpene
Wirkung
Diese Aromastoffe sind wesentliche Duft- und Geschmacksträger. Ein wichtiges Terpen ist Limonen, das unter anderem in den Schalen der Zitrusfrüchte vorkommt. Eine detaillierte Bewertung der rund 4.500 verschiedenen Terpene gibt es bislang nicht.
Vorkommen
In Pfefferminze, Zitronen, Sellerie, Kümmel.
Sehm T et al: Cancer Medicine (online) 4. Juni 2014 DOI: 10.1002/cam4.265